Bericht des Geschäftsführers zur Mitarbeiterversammlung im November 2019
Ich komme gerade von der Autobahn – da habe ich jetzt schon das Gefühl, dass die jährliche Vorweihnachtshektik alle noch ein wenig aggressiver werden lässt – irgendwie in jedem Jahr etwas früher und etwas schlimmer.
Allerdings könnten aufmerksame Zuhörer auf die Idee kommen, jetzt mit 60 Jahren – na ja, fällt ihm halt alles etwas schwerer. Wäre mir selber vielleicht auch so gegangen, wenn da nicht mein Neffe wäre, 22 Jahre jung, top fitter Bundeswehrsoldat – den habe ich nämlich gestern getroffen, da hörte sich das so an:
„Weite Strecken fahre ich, wenn es irgend geht, nur noch mit der Bahn – es wird ja immer schlimmer auf deutschen Autobahnen, das tue ich mir nicht mehr an!“
Glück gehabt, am Alter scheint es nicht zu liegen, eher am Mehrfieber!
Zwei Themen für diesen Bericht: Das Mehrfieber und das Alter – also hier eher die Jubiläen!
Das Mehrfieber:
Der Kapitalismus hat uns so erzogen, denn er lebt davon. Wer etwas gerade gekauft hat, der soll möglichst schon den Reiz des nächsten spüren, nicht die Zufriedenheit. Die Unzufriedenheit soll geweckt werden, denn wir sollen kaufen, davon lebt das System.
Wäre ja nicht schlimm, wenn dem Mehr des Kapitalismus nicht der Schrei der Erde entgegenstünde: „Ihr müsst mit weniger zufrieden sein, sonst macht ihr mich kaputt – und damit sägt ihr buchstäblich an dem Ast, auf dem ihr sitzt.“
Michael Winterhoff, ein Jugendpsychiater, schreibt in seinen Büchern davon, dass dieses Mehrfieber eine verheerende Konsequenz hat:
Alle Familien leben mittlerweile in der Regel ihren Alltag nicht mehr in einer normalen, gangbaren Geschwindigkeit, sie leben und sie reagieren im Katastrophenmodus – das, was wir auf der Lebens-Autobahn sehen, ähnelt dem, was wir auf der realen Autobahn auch erleben.
Wir alle merken es – aber wir kommen aus dem Hamsterrad nicht raus!
Auf der einen Seite kommen immer mehr Bücher zum Thema „Entschleunigung“ auf den Markt, auf der anderen Seite aber machen wir weiter wie bisher. Es ist ein Dilemma – es gibt auch keine schnellen Lösungen – darum lasse ich es an dieser Stelle im Unkonkreten einfach mal so stehen und komme zum Konkreten:
Es hat tatsächlich vieles, vieles neu gegeben in diesem zu Ende gehenden Jahr – das hatte einen Grund – und das ist gut so:
Wir haben in den Kindertagesstätten aus dem „Sofortprogramm zur Trägerrettung“ zusätzliches Geld bekommen, das wir im laufenden Jahr im laufenden Betrieb so nicht mehr ausgeben konnten. Es sollte allerdings an der Basis ankommen. Denen, die vor Ort die Arbeit gestalten, dienen – also haben wir eine Investitionsoffensive gestaltet:
- Neue Außentische und Stühle, wo es nötig war
- Ergänzung der vorhandenen Möblierung
- Ergänzung vorhandener Küchen und Austausch alter Küchen gegen neue
- Spülmaschinen, direkt in den Gruppenräumen, dort, wo sie gewünscht wurden
- Neue Büroeinrichtungen, dort, wo es nötig war
- Neue Außenspielgeräte, neue und zusätzliche Beschattung
- Das Motorik-Zentrum
Die Liste ist viel länger – wir haben nicht gekleckert – wir haben geklotzt. Nie in den zurückliegenden Jahren haben wir so viel Geld für Einrichtung ausgegeben – und ich sage es noch einmal:
Das ist gut so!
Es birgt allerdings eine Falle – da komme ich auf den allgemeinen Teil meines Berichtes zurück. Auch wir sind Menschen des Kapitalismus, auch wir sind Menschen im Mehrfieber und wir sollten an dieser Stelle mit Bedacht auf der Hut sein.
Jetzt ist die Zeit – und die muss auch sein, wenn es gut sein soll – in der wir uns über all das, was wir angeschafft haben, freuen, es genießen, es nutzen und gemeinsam Dankbarkeit leben – dafür, dass das so möglich gewesen ist. Es war ein besonderes Geschenk in einer besonderen Situation.
Ich sage DANKE an alle, die sich Gedanken gemacht haben, die Listen geschrieben haben, die Sachen in Katalogen gesucht und Kostenvoranschläge besorgt haben. Auch das war eine Herausforderung, auch das war zusätzliche Arbeit.
Danke dafür!
Jetzt ist die Zeit, auf das zu sehen, was wir haben, nicht nur auf das, was wir neu haben, jetzt ist die Zeit, dem Mehrfieber ein deutliches NEIN zu entgegnen.
Das heißt nicht, dass wir nichts mehr anschaffen. Was defekt ist, wird ersetzt. Was noch dringend nötig ist, wird erworben – und doch kehren wir jetzt in einen normalen Modus zurück.
Ich komme zum Alter – zu den Jubiläen.
Davon gab und gibt es reichlich in diesem Jahr:
- Wir haben ausgiebig 175 Jahre YMCA gefeiert.
- Einige waren im Oktober in Berlin zur besonderen Jahrestagung: 100 Jahre AG der CVJM.
- Zu Beginn des Monats November haben wir 10 Jahre Loquito-Indoorspielplatz im Rahmen eines Mitarbeitertages gefeiert.
Das ist so ein Beispiel einer Erinnerung, die uns gut getan hat. Einen Loquito-Indoorspielplatz in dieser Größe hat unseres Wissens kein anderer Träger in NRW – ich glaube, das haben nur wir.
Etwas ganz besonderes!
Im Laufe der Jahre haben wir das vergessen – und wir haben auch mehr und mehr vergessen, was man damit alles anstellen kann. Jetzt haben wir uns daran erinnert, haben den Schatz neu gehoben und werden unseren Arbeitsalltag in den verschiedensten Situationen wieder damit bereichern.
Wir werden achtsam sein, dass uns das nicht wieder so passiert. Zukünftig wird es in jedem Jahr eine Loquito-Indoor-Schulung geben, jedes Jahr können andere Mitarbeitende daran teilnehmen, immer mehr können so den Schatz entdecken, den wir da haben.
Ähnlich werden wir es mit dem Motorik-Zentrum in der Alten Mauritzschule machen. Auch so ein besonderer Schatz für eine KiTa und für uns alle, die die Materialien und auch das Motorik-Zentrum vor Ort nutzen können.
Und dann sind da die persönlichen Jubiläen:
- Hanna und Martin Schwebke sind 10 Jahre in Münster. Eine lange Zeit und gar keine Selbstverständlichkeit, in einer Zeit, wo gerade im sozialpädagogischen Bereich viel und häufig gewechselt wird.
- Im letzten Jahr war Melanie Decher 10 Jahre als Leitung in Hiltrup, das hatten wir im Alltags-Hamsterrad vergessen.
Das holen wir heute nach!
- Peter Krolzig ist in diesem Jahr 30 Jahre in Münster – dafür gab’s beim Jahresfest einen Blumenstrauß und eine Flasche Wein…
Und Peter Krolzig ist in diesem Jahr 10 Jahre der Vorsitzende der MAV – dafür gibt’s heute noch eine Flasche Wein und ich empfehle einen langanhaltenden Applaus.
- Ich selber bin in diesem Jahr auch 30 Jahre im CVJM Münster und habe auch einen Blumenstrauß und auch eine Flasche Wein bekommen…
Als ich nach Münster kam, habe ich hier das Internat für jugendliche Spätaussiedler geleitet. Bis zu 100 Jugendliche lebten hier auf dem Gelände, lernten die Sprache, bekamen von uns Nach- und Eingliederungshilfe und wurden fit gemacht für ihr Leben in der neuen Heimat.
Am Samstag der zurückliegenden Woche trafen sich in der Cafeteria des Johannes-Busch-Hauses 30 der 50 SchülerInnen des ersten Jahrgangs und feierten nach 30 Jahren Wiedersehen.
Bei diesem Treffen dabei sein zu dürfen, das war für mich ein besonderes Geschenk.
Ansonsten finde ich, dass diese 30 bunten und abwechslungsreichen Jahre sehr schnell vergangen sind. Hier die Arbeit des CVJM an leitender Stelle gestalten zu dürfen, ist für mich ein großes Geschenk. Dafür bin ich sehr dankbar.
Wir haben unserer Arbeit in diesem CVJM immer ein besonderes Profil gegeben. Unser Ziel war es nie, es genauso zu machen wie „die Anderen“. Wir sind ein freier Träger mit eigenen Ansätzen und eigenen Lösungen – wenn Menschen das merken, dann zeichnet uns das aus.
Darum sage ich am Ende dieses Berichts allen DANKE, die sich ehrenamtlich, nebenamtlich und hauptamtlich in diesem Verein engagieren. Zum Thema Gabenfundraising haben wir einen eigenen Kalender für das Jahr 2019 gestaltet.
Schätze heben, Gaben, die wir haben, erkennen, Gaben, die wir haben, einsetzen und unsere Arbeit unverwechselbar machen.
Darum lade ich am Ende dieses Berichts ein:
Wie wäre es, wenn wir mit unserer Arbeit ganz bewusst dem Hamsterrad und dem Katastrophenmodus etwas entgegensetzen. Wenn wir Genügsamkeit üben, wenn wir gemeinsam versuchen, uns zu beschränken.
Wir müssen nicht alles machen. Wir müssen nicht immer mehr machen. Wir sollten das tun, was wir wirklich schaffen können – das aber richtig, kraftvoll und gut.
Wie wäre es, wenn wir daran arbeiten, dass es uns immer mehr gelingt, Inseln zu schaffen in dieser gehetzten Welt, die Menschen einladen, sich angenommen und wohl zu fühlen – Orte der Ruhe, Orte der Spiritualität und der Begegnung mitten in dieser gehetzten Welt.
Vor einigen Wochen fuhr ich auf der Autobahn. Trockene Straße, Sonne, irgendwie hatte man das Gefühl, alle hatten Zeit, es war nicht zu eng, die Hektik war verflogen, die Gedanken konnten fließen, plötzlich war Raum für Kreativität.
Angekommen bin ich trotzdem – ich habe für die 600 Kilometer nicht einmal länger gebraucht.
Es war an einem Sonntagmorgen!
Das war schön!
Vielen Dank,
Stephan Degen, Geschäftsführer